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Gespräche über den Graben (III)

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– Dritter Teil der Diskussion zwischen Florian K. und mir | Erster Teil | Zweiter Teil

III. Mittelalter und Gleichheit

FK: Würden Sie sich eine andere Gesellschaft wünschen und wenn ja, wie sollte diese aussehen?

GB: Ich wünsche mir eine gläubigere Gesellschaft. Ja. Ich bewundere das Mittelalter, aber das kann natürlich kein Modell für eine heutige Gesellschaft sein. Aber es ist glaube ich nicht sehr wichtig, was ich mir wünsche oder nicht. Die Gesellschaft entwickelt sich, und mehr als mit Worten für seine Ideen werben kann (und soll) man sowieso nicht tun.

FK: Wofür schätzen Sie das Mittelalter? Für die schönen Rüstungen, die Ritter und Burgen? Oder für die damalige Macht der Kirche über die restliche Bevölkerung? Für das damalige Frauen- und Familienbild? Es gibt so viele Dinge für die man das Mittelalter schätzen oder verachten kann…

GB: Ja, man kann das Mittelalter für vielerlei schätzen, das stimmt. Ich schätze es für seine Theologie (insbesondere die frühmittelalterliche Theologie eines Eriugena z.B.), für seine pansymbolische Weltsicht, für den Gedanken des Heiligen Reichs (siehe meinen Kommentar über die Gründung der irdischen Herrschaft in Gott, es gibt auch ein schönes Buch “Theologie der Reichskrone” von Reinhart Staats), für seine Architektur, für Dichtungen wie Wolframs Parzival und sicher noch einiges mehr.
Zur “Macht der Kirche über die restliche Bevölkerung” müsste ich erstmal sagen, dass nach christlichem Verständnis die Kirche aus allen Gläubigen gebildet wird – die “restliche Bevölkerung” wären also damals nur die Juden gewesen. Das meinen Sie zwar nicht, aber nun muss ich natürlich trotzdem sagen, dass ich das (Spät)-Mittelalter für dieses Kapitel von Machtausübung nicht bewundere (allerdings beginnen die Judenprogrome erst mit den Kreuzzügen und somit zu einer Zeit, da das Mittelalter für mich seinen Zenit schon überschritten hat). Jedenfalls: Unrecht und Leid hat es selbstverständlich im Mittelalter wie zu jeder anderen Zeit auch gegeben. Ich sage nicht, damals sei das Paradies auf Erden gewesen.

FK: Ich denke Ihnen dürfte klar sein, dass die katholische Kirche einen Institutionscharakter hat und sich meine Aussage auf das Verhältnis zwischen der Kirche als Institution und den Menschen bezog. Weiterhin blenden Sie völlig aus, dass die katholische Kirche während des Mittelalters die Bildung jeglicher geistiger Strömungen außerhalb ihrer selbst aktiv und unter Einsatz brutalster Gewalt unterdrückt hat. (z.B. beim Albigenserkreuzzug). Außerdem möchte ich gerade Ihnen, der Sie auch als Autor bei eigentümlich frei aktiv sind, zu bedenken geben, dass privates Eigentum und persönliche Freiheit für sehr viele Menschen des Mittelalters kaum erreichbar waren, bis die absolute geistige Vorherrschaft Ihrer geschätzten katholischen Kirche im Rahmen der Aufklärung endlich gebrochen werden konnte.

Ergänzend möchte ich noch etwas zu Ihrer Aussage bezüglich des Gleichheitsgrundsatzes in den Menschenrechten sagen: Natürlich macht es keinen Sinn, wenn beispielsweise ein Neugeborener das Recht hat, eine Universität zu besuchen. Und dass Ungleichheiten in den Fähigkeiten der Menschen bestehen, ist ja unumstritten. Es ist aber doch etwas Anderes, wenn z.B. einem Adligen oder dem Sohn eines Monarchen bestimmte Sonderrechte von Geburt an (oder auch von “Gottes Gnaden”) zugestanden werden oder Personen aufgrund ihres niedrigen Geburtsstandes von gesellschaftlichen Funktionen ausgeschlossen werden.
 Dies jedenfalls entspricht nicht den Menschenrechten, so wie ich sie verstehe.

GB: Wieviel soziale Mobilität es im Mittelalter gab, kann ich mangels Expertise nicht beurteilen. Leibeigene konnten ja z.B. “nach Jahr und Tag” Stadtbewohner werden. Jedenfalls, unabhängig von der Frage, wie es damals gewesen ist, bin ich sehr dafür, dass Menschen die Möglichkeit zum Aufstieg haben, wenn sie in diese Richtung drängen und das Zeug dazu haben. Das sind dann oft die aufregendsten und kreativsten Geister. Allerdings denke ich – wie gesagt – nicht, dass man allen Menschen von vornherein, ungeachtet ihrer Neigungen und Talente, die absolut gleichen Möglichkeiten garantieren muss und soll. Nicht weil ich es schlecht fände, wenn alle die gleichen Möglichkeiten hätten, sondern weil eine solche Situation in der realen Welt nur mit großem Zwang, Gewalt und ideologischer Verbissenheit herbeigeführt werden kann.

FK: Ich hingegen betrachte den Gleichheitsgrundsatz der Menschenrechte keineswegs als reines Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen, sondern vielmehr auch als ein positives Recht, welches der Gesellschaft gebietet, aktive Schritte zur praktischen Verwirklichung einer Chancengleichheit zu unternehmen und benachteiligende Zustände systematisch abzubauen und welches für den betroffenen Einzelnen auch einklagbar sein sollte. (Ich glaube an diesem Punkt dürften unsere Meinungen recht weit auseinanderliegen)

Natürlich hat dies praktische Grenzen: Kein Gesetz der Welt kann einem Menschen, der ohne Beine geboren wurde, Beine wachsen lassen. Aber ein Gesetz kann beispielsweise vorschreiben, dass öffentliche Gebäude auch für Rollstuhlfahrer zugänglich sein müssen und damit verhindern, dass ein Mensch der keine Beine hat, ausgegrenzt wird.

Über die soziale Mobilität im Mittelalter habe ich natürlich genausowenig Expertise wie Sie. Allerdings ist der Fakt wohl nicht zu leugnen, dass man im Mittelalter in die Unfreiheit hineingeboren werden konnte. Ebenso dürfte Klarheit darüber bestehen, dass es für einen unfrei geborenen vielleicht die Möglichkeit gab, frei zu werden, jedoch kaum die Möglichkeit in die herrschenden Klassen des Adels oder des Klerus aufzusteigen. Ähnliche Dinge sind es auch, die ich an heutigem elitärem Denken so verurteile.

Letzter Teil morgen.


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