Da baut man also ein neues Repräsentationsgebäude, und wie nennt man den Platz davor? “Neuplatz”. Na wie originell! Gehts noch traditionsloser?
Kein Wunder, dass der Platz alsbald umbenannt wird. Wobei “alsbald” auch eher nach himmlischen Maßstäben zu verstehen ist. 168 Jahre sollte es dauern, dann wurde aus dem Neuplatz der Hindenburgplatz. Das war im Jahr 1927, da war Hindenburg gerade mal zwei Jahre lang Präsident. Na super. Gehts noch traditionsloser?! Haben wir denn heute schon Wulffplätze oder Gauckstraßen?
Traditionsbewusst wurde man erst im Jahr 2012. Da nannte man den einstigen Neuplatz und jetzigen Hindenburgplatz nämlich Schlossplatz. Man bezog sich damit auf das mehr als 200 Jahre alte fürstbischöfliche Schloss, berief sich auf die vorrevolutionären, vorsäkularisierten Werte, als die Grafen und Bischöfe noch ihre Kleinstaaten wohlregierten und sichs unterm Krummstab gut leben ließ.
Traditionsbewusst ist man im Jahre 2012 aber nicht nur in Münster, sondern auch in Kassel. Auch hier hat man jüngst einen Platz neu benannt. Und um zu verstehen, warum diese Benennung traditionsbewusst ist, müssen wir sogar bis ins Mittelalter zurück.
Soweit ich informiert bin, wurden Straßen damals eher pragmatisch getauft – Gerbergasse, Färbergasse, Judengasse, Malergasse, Brauerweg, Kirchsteig, Fischerbrücke. Bei Plätzen war das offensichtlich anders, schon aus dem Grund, weil dort oft eine Kirche stand, und so hießen die benachbarten Freiflächen dann eben zuweilen Stephansplatz, Markusplatz, Ägidienplatz, Veitsplatz, Katharinenplatz usw., nach dem Patron der jeweiligen Kirche. Nun werden Heilige aber seit eh und je per Vornamen gehandelt. In Altötting gibt es keinen Birndorferplatz, sondern einen Bruder-Konrad-Platz. Erst die moderne bürgerliche Gesellschaft kam auf die Idee, der Nachname sei wichtiger als der Tauf- oder Ordensname. So entstanden dann Hindenburg-, Wulff- und Gauckplätze.
Und hier entscheidet man sich 2012 wieder zugunsten der Tradition. In Kassel ist soeben ein zuvor namenloser Platz Halitplatz genannt worden. Nun war Halit zwar kein katholischer Heiliger, sondern nur ein Märtyrer der Kirche der Demokraten, zu Tode gebracht von den Ketzern der NSU. Mit vollem Namen hieß er aber Halit Yozgat, und da er bei seinem Tod kein Kind mehr war, sondern bereits Anfang 20, hätte ich mit einem Yozgat-Platz oder zumindest einem Halit-Yozgat-Platz gerechnet. Nun mögen die Anredegepflogenheiten im Türkischen anders sein als im Deutschen, aber Halit Yozgat war gebürtiger Kasseler und wurde und wird in der Berichterstattung auch immer als “Yozgat” bezeichnet.
Warum dieser Rückgriff auf mittelalterliche Bräuche? Ich kann mir nur zwei Erklärungen denken:
1. Halit Yozgat hat durch seinen Märtyertod tatsächlich Heiligenstatus innerhalb der Heiligen Freiheitlichen und Demokratischen Kirche erlangt. Durch sein Blut transzendiert er sich von Yozgat zu Halit, ebenso wie in der Heiligen Katholischen und Apostolischen Kirche sich Johann Birndorfer durch Ordenseintritt und heiligmäßiges Leben zu Konrad von Parzham transzendiert.
2. Es ist reinster Chauvinismus. Niemand wäre auf die Idee gekommen, eine Straße Hanns-Martin-Straße oder Rudistraße zu nennen, obwohl alle drei, Schleyer, Dutschke und Yozgat Attentatsopfer waren. Aber Schleyer war ein hochgestellter Deutscher, Dutschke ein einflussreicher Deutscher. Yozgat war nur ein unbedeutender Türke.
Also, liebe Platzbenenner: suchts Euch aus!