Zur Feier des heutigen Tages Mariä Namen, da die Kirche des Siegs über die Türken anno 1683 gedenkt, gedenke ich mir mal was neues aus.
Ganz im Sinne des Historikers Alexander Demandt und seines Buchs “Ungeschehene Geschichte – Traktat über die Frage ‘Was wäre geschehen wenn’” spintisiere ich mal rum, was wäre, wenn es diesen Feiertag Mariä Namen nicht gäbe.
Also: Was wäre geschehen, wenn die Türken 1683 Wien eigenommen hätten?
Mein Szenario:
Nachdem der polnische König Johann III. Sobieski gefallen ist und Kaiser Leopold I. von den Türken gefangengenommen wird, gibt es kein Halten mehr. Innerhalb weniger Wochen stoßen die Osmanen bis nach Köln vor, im Juni 1685 fällt Paris, im September 1686 Rom. Der französische König wird ermordet, der Papst wird gefangengenommen. Bis zum Jahr 1700 sind in Europa nur noch Skandinavien, die Britischen Inseln, Südspanien und Venedig unabhängig.
Die Osmanen regieren mit harter Hand. Amoralische Autoren wie René Descartes, Baruch de Spinoza, Gottfried Wilhelm Leibniz und Galileo Galilei werden verboten. Junge destruktive Umtreiber wie François Marie Arouet und Denis Diderot werden auf den Balkan verbannt. Stattdessen fördern die Osmanen religiöse Kunst und Kultur. Nachdem Sultan Ibrahim der Weise (1716-1744) von seinen Beratern überzeugt wird, dass es ganz zwecklos sei, die Europäer für den Islam zu gewinnen, bevor sie nicht ihrem neuen Götzen, der Vernunft, abgeschworen hätten, unterstützt er die Jesuiten und vor allem den 1732 neu gegründeten Orden der Orientalen (Ordo Fratrum Orientalium, seit 1789 Ordo Fratrum Orientalium Strictioris Observantiae), der sich insbesondere der Mystik und der theologischen Reflexion im Sinne des Johannes Damascenus und der griechischen Kirchenväter widmet. Der Papst wird aus der Gefangenschaft entlassen, und gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist die Bewegung der Vernunftapostel, abgesehen von einigen alten Männern, praktisch verschwunden.
Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts ist Sultan Marqüs (1831-1848) in Konstantinopel verstärkten Palastintrigen ausgesetzt. Nachdem von den 150 Millionen Einwohnern des Osmanischen Reichs inzwischen fast 70 Millionen Katholiken, 20 Millionen Protestanten, 10 Millionen Orthodoxe und nur noch 50 Millionen Muslime sind, fordert die katholische Fraktion an der Hohen Pforte mehr Mitspracherechte. Als der Sultan dies verweigert, wird er von seinem Großwesir, dem Italiener Matteo Manzalotti, während der sogenannten 48er-Revolution ermordet. Zum Nachfolger ruft Manzalotti den griechischen Vizekönig Theodoros Katamazakou aus.
Unter der Herrschaft Theodoros’ I. beteiligt sich das Osmanische Reich am sogenannten “Wettlauf nach Afrika”. Die schärfsten Rivalen sind dabei die protestantischen Vereinigten Staaten von Großbritannien und Nordamerika sowie die seit 1806 mit dem Kaiserreich China verbündete Republik Venedig. Im Zuge der afrikanischen Kolonisierung werden weite Teile des Kontinents von den osmanischen Orientalen-Missionaren christianisiert.
Doch die Spannungen zwischen den drei europäischen Großmächten nehmen im Zuge des Kolonialismus zu (ansonsten sind in Europa nur noch die in die Barbarei zurückgefallenen nördlichen Königreiche Schweden, Lappland und Karelien unabhängig, dazu das weitgehend menschenleere Große Anarchische Russland sowie die stets neutrale Republik Andalusien). 1914 bricht schließlich der Krieg aus, als François-Fernand, der Sohn des französisch-osmanischen Vizekönigs, in Venedig erschossen wird. Nun steht der osmanische Sultan Christian I. (nach Ferenc I. der zweite Katholik an der Staatsspitze) dem britischen König Alan IV. (einem Protestanten) und dem Venezianischen Dogen Giordano XV. (einem Atheisten) gegenüber. Nachdem China zugunsten Venedigs, Australien zugunsten Großbritanniens und die Vereinten Hundert Königreiche von Zentralafrika zugunsten des Osmanischen Reichs eingreifen, entwickelt sich die Auseinandersetzung zum Weltkrieg.
1918 sind Venedig und die Vereinigten Staaten von Großbritannien und Nordamerika besiegt. Im Friedensvertrag von Piräus treten die Vereinigten Staaten die Britischen Inseln ans Osmanische Reich ab, während Venedig als Buße auferlegt wird, wieder Gott zu fürchten und dem Atheismus abzuschwören. Der osmanische Herrscher nennt sich ab sofort nicht mehr Sultan, sondern Kaiser, und das Reich heißt ab 1919 offiziell Heiliges Römisches Reich Europäischen Geistes. Gleichberechtigte Hauptstädte werden neben Konstantinopel Rom, Wien und London.
In den protestantischen Gebieten des Römischen Reichs setzen in den folgenden Jahrzehnten vielfältige Konversionsbewegungen ein. Höhepunkt ist die Bekehrung der britischen Vizekönigin Elizabeth im Jahr 1953. Im Jahr 1968 sind von den 650 Millionen Europäern 85% katholisch, 10% orthodox, 4% muslimisch und 1% protestantisch. Der Atheismus ist fast komplett verschwunden.
Als im Jahr 1989 der sogenannte “Eiserne Vorhang” fällt – die scharf bewachte Ostgrenze des Römischen Reichs, hinter der im Norden die russischen Menschenfresser von Gog und Magog und im Süden die neozoroastrischen Perser wohnen -, erliegen die Bewohner des ehemaligen Ostblocks schnell den Vorzügen der westlichen Welt. Innerhalb von nur wenigen Jahren entstehen im Iran, in Saudi-Arabien und in Indien reihenweise Kirchen und Klöster. Der Jemen entwickelt sich zu einem Zentrum theologischer Gelehrsamkeit, und in Afghanistan blüht christliche Kunst und Kultur.
Und am 12. September 2012 feiert die universelle Christenheit das Fest Mariä Namen. Es wurde eigentlich eingeführt, um an die schmachvolle Niederlage am Kahlenberg 1683 zu erinnern: damals hatten die christlichen Feldherrn vorher nicht zu Maria gebetet, und das hatte man wiedergutmachen wollen. Doch inzwischen mag sich kaum mehr jemand ausmalen, was geschehen wäre, wenn die Europäer damals gesiegt hätten. Gottlosigkeit, Vernunftkult, Frevel und Götzendienst wären dann sicherlich über die Welt gekommen. Das Christentum wäre marginalisiert, und Islam, Okkultismus und Atheismus wären auf dem Vormarsch. Dank sei Maria, dass das nicht passiert ist!