Klingt super, der Titel, oder??
Ich hätte auch schreiben können: Die Tomate. Aber das wäre längst nicht so eindrucksvoll gewesen.
Was also hats damit auf sich? Die Tomate ist ein Neophyt. Bedeutet, sie ist eine hemerochore Pflanze, aber kein Archäophyt. Eine Pflanze ist hemerochor, wenn sie vom Menschen in eine Region eingeführt wurde, wo es sie von Haus aus nicht gegeben hatte. Sie ist ein Archäophyt, wenn das vor dem Zeitalter der Großen Entdeckungen geschah, also vor 1500. Sie ist ein Neophyt, wenn es hinterher geschah.
Die Tomate ist also ein Neophyt. Sie wurde irgendwann Anfang des 16. Jahrhunderts aus Amerika mitgebracht. Soweit zum ersten Teil des Titels.
Pansymbolismus ist eine Prägung, die ich sinngemäß auf Friedrich Ohly zurückführe. In seinen Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung spricht er von “Pansemiotik”, aber das ändert nicht viel. Es geht darum, dass das Mittelalter – entsprechend der Lehre vom vierfachen Sinn der Dinge – in Allem und Jedem eine höhere, göttliche Bedeutung erkennen konnte. Ein Stein war nicht nur ein Stein, sondern Sinnbild der unverbrüchlichen Treue des Herrn, Sinnbild des unerschütterlichen Glaubens der Kirche, Sinnbild des Sinnbilds dieses unerschütterlichen Glaubens, Petri, und schließlich Sinnbild des festgefügten Himmlichen Jerusalem. Alles konnte zum Symbol werden, zum Hinweis auf die höhere, größere Realität Gottes.
Reformation, Humanismus und später die Aufklärung haben mit dem Pansymbolismus aufgeräumt. Der unmittelbare, nichtsymbolische Sinn eines Dings schob sich immer mehr in den Vordergrund. Die Welt wurde wichtiger als das Jenseits, auf das sie verwies. Der Mensch, nicht mehr Gott, wurde zum Maß aller Dinge.
So können wir mit Fug und Recht feststellen: der Pansymbolismus ist mittelalterlich. (Ein Phänomen ist mittelalterlich, wenn es vor dem Zeitalter der Großen Entdeckungen aufgetreten ist, also vor 1500. Es ist neuzeitlich, wenn es hinterher aufgetreten ist.)
Nun zählen wir 1 und 1 zusammen. Wir erkennen zweifelsfrei: Tomate und Pansymbolismus passen nicht zusammen. Ein mittelalterlicher Neophyt ist wie ein schwarzer Schimmel oder ein quadratischer Mond. Oxymoron, sagt der Literaturkundler [N.B. die Fremdwortschwemme bitte keinesfalls als Bildungshuberei, sondern als Solidarität mit Griechenland verstehen.]
Anders gesagt: der Tomate widerfuhr nie die Ehre einer pansymbolischen Deutung. Bis jetzt.
Und wer nimmt jetzt diese Deutung vor? Die Salafisten! Die Letzten Lebenden Mittelaltermenschen. Dabei ist ihr methodischer Ansatz erstmal gar nicht sehr mittelalterlich. Sie schneiden die Tomate nämlich einfach entzwei. Das erinnert uns natürlich ganz stark an die neuzeitliche Wissenschaft, an Galileo Galilei und seine Apologie des Experiments – also des gezielten Eingriffs in die Natur zum Zwecke der Erleichterung von Beobachtungen. Eine Holz- und eine Bleikugel gleichzeitig vom Turm werfen, usw., wir erinnern uns. Das tun sie ja nicht von selbst, gell? In der traditionellen, sprich aristotelischen Naturwissenschaft war solche Trickserei verpönt.
Aber seis drum. Etwas Modernismus sei auch den Salafisten zugestanden. Was sie bei ihrem Experiment entdecken, ist jedenfalls tiefstes Mittelalter. Ein waschechtes Templerkreuz! Und dahinter ein Andreaskreuz. Selbstverständlich hören die Salafisten daraufhin sofort auf, Tomaten zu essen. Und auch wir Christen sollten uns das überlegen. Gehen wir denn in die Kirche und knabbern dort das Kruzifix an?? Ein bisschen Ehrfurcht muss schon sein!
Jedenfalls: danke, Ihr vollbärtigen Kollegen aus dem Süden! Ihr habt für uns das Oxymoron geknackt! Und so werdet Ihr – mirakel, mirakel – für uns nun pansymbolisch selbst zum Symbol: zum Symbol jenes großen Oxymoronknackers, der durch den Tod das Leben gebracht hat und die Weisheit zur Torheit und die Torheit zur Weisheit gemacht hat, der alle Werte umgewertet, alle Täler erhöht und alle Berge erniedrigt hat!
Wow!
Das hättet Ihr nicht gedacht, was?
Die Taufe spendet Euch der Priester Eures Vertrauens.