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Humanisten, Fundamentalisten und die Macht über die Sprache

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Georg Gänswein lebt seine homoerotischen Fantasien aus

Bloggerkollege Kreuzknappe schreibt über ein Pamphlet, das dem Papst unterstellt, zu Georg Gänswein ein homoerotisches Verhältnis zu unterhalten. Inhaltlich brauche ich mich dazu nicht zu äußern, aber ich bin mal wieder über den Namen des Portals gestolpert, auf dem das Pamphlet veröffentlicht wurde: “Humanistischer Pressedienst”. Dieser Pressedienst wurde 2006 vom “Humanistischen Verband” gegründet, welcher seinerseits 1993 ins Leben gerufen wurde und u.a. für karfreitägliches Weißwurschtessen und Tanzen an den Stillen Tagen verantwortlich zeichnet.

Ebenfalls 1993 bin ich im tiefsten Bayern in ein – Humanistisches Gymnasium eingetreten. Ich hätte mir damals nicht vorstellen können, dass gleichzeitig im fernen Berlin das Wort “humanistisch” im Sinne von “kirchenfeindlich” instrumentalisiert würde. Denn das Humanistische und das Christliche gehörten an meinem Gymnasium – wie an vielen anderen auch – untrennbar zusammen: die Verbindung war durch die Wertschätzung der Traditionen, der überlieferten Werte, der klassischen Bildung einschließlich der Alten Sprachen ganz zwanglos gegeben. Geistige Leitepoche dieses katholisch-humanistischen Weltverständnisses war der Barock – damals war das Gymnasium auch gegründet und gebaut worden, und so dauerte der Barock architektonisch und mental recht ungebrochen bis in die Gegenwart fort.

Ich frage mich heute, zwanzig Jahre später, ob es dem “Humanistischen Verband” und Konsorten inzwischen gelungen ist, den Begriff der Humanismus an sich zu reißen und in ihrem Sinne umzudeuten. Ich kann das schlecht beurteilen. Mir begegnet der Begriff im Alltag ziemlich selten. Wenn, dann meist in rein historischer Bedeutung, also die Epoche eines Erasmus von Rotterdam und eines Philipp Melanchthon bezeichnend. Ansonsten würde ich sagen, dass dem Begriff “Humanismus” bzw. “Humanist” weiterhin eine eher kulturkonservative Konnotation innewohnt. In diesem Lichte wäre die Begriffsumdeutung durch die kirchenfeindlichen Gruppierungen gescheitert.

Es reicht aber, dass sie versucht wurde. Ich persönlich würde den Verlust des “Humanismus” für die christliche Sache zwar an sich nicht betrauern. Meine geistigen Wurzeln liegen viel stärker im Mittelalter denn im Barock, der historische Humanismus war also gerade jene Strömung, welche die von mir geschätzten geistigen Grundlagen zerstört hat. Dem Barock kommt immerhin das Verdienst zu, Renaissancehumanismus und christliche Tradition ein letztes Mal zusammengeführt zu haben, doch ich finde viele Erzeugnisse dieser Zeit (die weltlich-opulente Sakralmalerei z.B.) viel zu problematisch, als dass mich das dem Mittelalter entfremden könnte.

Doch auch wenn der Verlust des Humanismus für die christliche Sache an sich nicht so tragisch wäre: wir sollten ein waches Auge auf solche sprachlichen Vereinnahmungsversuche werfen. Denn schwindet erst der Begriff, schwindet alsbald die Sache selbst.

Ein Beispiel dafür ist mir neulich aufgefallen. Ich weiß nicht, wie ich gerade jetzt darauf gekommen bin, wahrscheinlich hat es irgendetwas mit den aktuellen Wahlen und Kriegen zu tun.

Bis vor nicht allzulanger Zeit gab es bei den Grünen Fundamentalisten. Noch als die Partei 1998 in die Bundesregierung eintrat, konnte man Übersichten lesen, wer zu den Realos gehörte und wer zu den – nein: eben nicht den Fundamentalisten – sondern: den Fundis. Mit dieser Verniedlichung war der Untergang schon eingeläutet. Wenn man heute durch schwäbische Metropolen wie Stuttgart oder Prenzlauer Berg spaziert, wird man vielen, vielen grünen Spießern, aber keinerlei Fundamentalisten begegnen. Zuerst wurden sie begrifflich, dann realiter abgeschafft. Diese Mechanismen sollten wir nicht unterschätzen. So ist es höchst berechtigt, dass Pfr. Dr. Guido Rodheudt sich gegen die Bezeichnung “Tradis” wehrt. Denn Katholiken, die die Messe aller Zeiten feiern, “werden dadurch, gewollt oder ungewollt, zum Fanclub. Sie ordnen den Traditionsverbundenen in einen bestimmten Karton ein. Es ist der Karton, in dem sich seit einiger Zeit Dinge wie Schallplattenspieler, Kittelschürzen, Max-Raabe-CDs, Telefonapparate mit Wählscheibe und Handkaffeemühlen befinden. Auf ihm steht geschrieben ‘Gute Alte Zeit’ oder ‘Nostalgie’.”

Ich bin also lieber Fundamentalist als Fundi, lieber Traditionalist als Tradi. Die Welt hat zwar vor dem Fundi weniger Angst als vor dem Fundamentalisten – insofern lebt sichs als Fundi angenehmer. Doch es hat auch einen Grund, warum die Welt weniger Angst vor ihm hat: Der Fundi und der Tradi sind nostalgische Relikte einer vergangenen Zeit und werden bald aussterben. Der Fundamentalist und der Traditionalist hingegen sind jung, von ihrer Sache begeistert und zum Angriff bereit.

Hingegen kann man sich diese Mechanismen selbst durchaus zunutze machen. Gerade der Humanismus mit seinem kulturkonservativen Beiklang bietet dafür gute Möglichkeiten. Ich gebe also gerne den Humanismus preis, wenn ich die Anhänger des umgedeuteten Humanismus dann als “Humis” bezeichnen kann.


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