Erfreulicherweise propagieren des Fischers Beiboot und der der den Messias gefunden hat den neuen Begriff der Theophobie weiter. Letzterer meint, der Begriff sei gar nicht so neu, ohne allerdings genaueres darüber zu wissen – so hab ich mich mal auf die Google-Suche gemacht.
Es scheint, dass der Begriff in der Gegenwart tatsächlich sehr wenig benutzt wird. Man findet fast nur Einträge in Bedeutungswörterbüchern, kaum aktive Verwendungen auf Websites, Blogs, anderen Medien etc.
Ich bin jedoch auf etwas höchst interessantes gestoßen: Der Begriff sollte bereits 1827 eingeführt werden. Damals erschien ein kurzer Artikel “Die Theophobie” in der Zeitschrift “Der Staatsmann”, herausgegeben vom katholischen Publizisten Johann Baptist von Pfeilschifter. Da der Artikel keinen Autor ausweist, gehe ich davon aus, dass er von Pfeilschifter selbst stammt.
Insbesondere finde ich bemerkenswert, dass Pfeilschifter – ebenso wie ich gestern, bloß 185 Jahre früher – darauf hinweist, dass die Theophobie ihre eigene Sprache schafft und sie gegen die etablierten christlichen Begriffe durchzusetzen versucht.
Der ganze Text findet sich hier, der für unsere Zwecke hauptsächlich interessante Anfang (später geht es dann um die Monarchophobie) liest sich wie folgt:
Die Theophobie.
Celsus nannte die Wasserscheu miserrimum morbi genus; mit wie weit stärkerem Grunde könnte man diese Bezeichnung auf die Theophobie anwenden, eine der traurigsten Krankheiten, womit das menschliche Geschlecht heimgesucht werden kann.
Die Theophobie (Gottscheu) entsteht nicht von selbst. Nicht in des Menschen Natur, der mit der Sprache die Erkenntnis der Gottheit empfing, liegt dieses Übel, sondern durch Einimpfung hat er es sich zugezogen; der erste, welcher es hatte, ohne Zweifel von einem Tiere unbekannter Gattung gebissen, teilte es andern mit. So wurde dieses Gift verbreitet, und es greift auf eine beunruhigende Weise um sich. Die Lektüre gewisser Bücher ist bei schwachen Köpfen schon hinreichend, sie anzustecken; viele wurden gottscheu, weil sie mit dem Constitutionnel und dem Courrier, die es im hohen Grade sind, in Berührung kamen.
Die ersten Symptome dieser Krankheit sind ein übermäßiger Stolz, ein daher rührendes Aufschwellen des Gesichts und außerordentlicher Reiz der Gehirnorgane. Der Kranke ist unruhig; statt seine Blicke gen Himmel zu richten, scheint er tief in den Abgründen etwas zu suchen. Sein Auge ist verstört, und sein ganzes Wesen zeigt etwas Krampfhaftes. Mit Gier, als wenn er darin Erleichterung zu finden hoffte, sieht man ihn über gewisse Geistesnahrung, z. B. Locke, Diderot, Voltaire, Baron von Holbach und Cabanis herfallen; aber alles trägt nur zur Vergrößerung und Unheilbarkeit dieser Art von Wut bei.
Bald werden die Krankheitssymptome charakteristischer: der Gottscheue vermeidet die heiligen Örter; der Anblick eines Priesters regt seinen Zorn auf, und der eines Missionärs versetzt ihn in Wut; der bloße Name “Jesuit” reicht hin, konvulsivische Zuckungen bei ihm hervorzubringen. Bei einem Gespräch über die Inmaterialität der Seele, über Wunder und Katholizismus schwebt stets ein sardonisches Lächeln auf seinen Lippen; und um eine furchtbare Krisis zu vermeiden, hüte man sich, mit ihm eine Unterhaltung über die geistliche Macht des Papstes, über geistliche Orden und Priester anzuknüpfen.
Die mit der Theophobie Behafteten haben eine der Natur ihrer Ideen angemessene Sprache. Geben sie zuweilen, aus Rücksicht für das, was sie Vorurteil und Aberglauben nennen, eine Gottheit anzuerkennen vor, so nennen sie selbe das “höchste Wesen”, wie die Revolutionäre von 1793, oder gleich den Freimaurern, “den großen Baumeister des Universums”. Nie entfährt das Wort “Gott” ihren Lippen; dieses hervorzubringen sind sie unfähig; das am meisten charakteristische Krankheitssymptom ist, dass dies auf sie wirkt, wie bei den Wasserscheuen die Gegenwart des Wassers. Der so schöne und bezeichnende Ausdruck “christliche Liebe” ist in ihrer Sprache durch “Philanthropie” vertauscht worden, und nur um diese Kranken nicht zu reizen, bediente sich vor kurzem ein Minister des Wortes “Wohltätigkeit”. Es gab eine Zeit, wo ihnen Erschlaffung, bequeme Frömmigkeit mit Jesuitismus gleichbedeutend waren; jetzt ist es Rigorismus und Fanatismus, was einen Mangel an Zusammenhang zeigt, dessen Ursache nur dem Wahnsinn, in den sie versetzt sind, zuzuschreiben ist. In ihrem seltsamen Wörterbuch heißt Religion, Aberglauben; die der Geistlichkeit bezeigte Ehrfurcht, Pfaffenwesen; Frömmigkeit, Bigotterie; ein demütiges, bescheidenes Gemüt, Tartuffe; religiöser Sinn, Kongregation; bischöfliche Hierarchie, Ultramontanismus. Wegen der Verstörtheit ihrer Sinne und Ideen sehen sie alles in einem falschen Lichte, und es bedurfte neuer Ausdrücke zur Bezeichnung aller ihrer Abirrungen.
Durch Einflößung von Furcht haben die Gottscheuen es erlangt, einige ihrer Grillen zu befriedigen; aber sie sind darum nicht ruhiger geworden. Man behauptet, dass die Wasserscheuen einen so großen Abscheu vor dem Wasser haben, dass selbst eine Eisfläche oder jede andere polierte Fläche bei ihnen dieselben Anfälle erregen könnte als das Wasser. Die Theophobie stellt uns dasselbe Phänomen dar. Alle damit Behafteten verlangten mit großem Geschrei die Vertreibung der Jesuiten, deren bloßer Name ihnen schon Schauder einflößt; man war ihnen hierin willfährig. Sie forderten, dass all die Schulen, worin man den Namen Gottes in Verehrung hielt, aufgehoben werden sollten; auch diese Forderung wurde berücksichtigt. Jetzt verlangen sie die Vernichtung der geistlichen Orden; auch hierzu bequemt man sich; die Missionäre nennen sie Jesuiten; auch sie wird man vertreiben; die Brüder der christlichen Schulen sind der dem Wasser gleichende Eisspiegel; auch sie wird man ihnen opfern; und bleibt dann nichts mehr übrig, als Bischöfe und Pfarrer, so treten so heftige Anfälle anderer Art ein, dass nur deren Beschwichtigung durch dieses letzte Opfer möglich sein wird.
Im Jahre 1827 blieb die Etablierung des Begriffs “Theophobie” offenbar folgenlos. Wollen wir hoffen, dass wir 2012 erfolgreicher sind – auf dass unsere Kindeskinder im Jahr 2197 in einer theophobiefreien Welt leben mögen!