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“Zu Hause bleiben und Tee trinken”

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Leonaert Bramer: Die Reise der Könige nach Bethlehem

…so titelt die Tagesschau angesichts der Rekordkälte in den USA. In North und South Dakota sind die Temperaturen auf -35 °C gefallen, in Minnesota sollen es gar -54 °C werden – bereits nach fünf Minuten zieht man sich im Freien Erfrierungen zu.

Zweifellos ungemütlich.

Ich frage mich, was man sich damals in Nubien gedacht hat. Ein heißes, reiches Land, dort gab es Gold bester Qualität und massenweise Smaragde, erzählt uns Johannes von Hildesheim. Die Gattin des Königs hat ihrem Mann sicher den Vogel gezeigt, als er plötzlich mit der irren Idee ankam, ins kalte nördliche Barbarengebirge zu ziehen, wo mitunter gar dieses mysteriöse Ding “Schnee” vom Himmel fällt und die Haut der Menschen von der ständigen Kälte ganz hell geworden ist.

Auch im südarabischen Saba, einem anderen heißen, reichen Land, wo kostbare, weithin berühmte Gewürze wuchsen, und genauso im indischen Tharsis, das noch viel ferner lag und noch viel heißer und reicher war, mussten sich die dortigen Könige wohl von ihren Gemahlinnen gehörig den Kopf waschen lassen, als sie vermeldeten, quer durch die Wüste in den eisigen, winterlichen Nordwesten ziehen zu wollen.

Hatten nicht die “Nubische Allgemeine”, der “Sababote” und die “Tharsische Rundschau” gerade noch über die unerträglichen Zustände jenseits des großen Sandteichs berichtet? Über die bittere Kälte in diesen Nordländern, wo Menschen, wie glaubhaft berichtet wird, schon in Sekundenbruchteilen zu einer Säule erstarren? Wo Menschenfresser und Ungeheuer mit Namen wie Behemoth und Leviathan an jeder Wegkreuzung lauern? Wo man eine Sprache spricht, die “selbst der leibhaftige Teufel zu verstehen nicht imstande ist” (Gogol)?

Also, vor Reisen in diese Länder musste dringend abgeraten werden! Lieber zu Hause bleiben und Tee trinken! (würde es denn bei diesen Nordbarbaren überhaupt Tee geben??)

Aber König Melchior von Nubien, König Balthasar von Saba und König Caspar von Tharsis blieben halsstarrig. Am 25. Dezember brachen sie auf.

Und nun passiert das Wunderbare.

Wasser, Wüsten und Berge ebnen sich zu geraden Wegen. Die Pferde traben Tag und Nacht, unermüdlich, ohne zu fressen. Nirgendwo wird der Zug aufgehalten, alle Stadttore stehen offen, weil auf der ganzen Welt Frieden herrscht. Die Reise scheint wie ein einziger kurzer Tag.

Am dreizehnten Tag schließlich treffen die drei Könige in Jerusalem ein. Der Rest ist bekannt. Sie opfern nubisches Gold, sabischen Weihrauch und tharsische Myrrhe. Schließlich kehren sie auf anderem Wege wieder in ihre Heimat zurück – und diesmal brauchen sie für die Reise zwei Jahre.

“Zwei Jahre, Schlawiner!!” hör ich Königin Melchiora schon keifen, “hab ichs dir nicht gesagt, Saubazi, das war eine Schnapsidee, der König von Darfur hat uns angegriffen, beinahe hätte der Großwesir hier geputscht, und was macht unser sauberer König Melchior? Er lustwandelt bei den Nordbarbaren! Eine Watschn sollte man dir geben! Weiß ich doch noch ganz genau, wie du damals gesagt hast: ‘Bin gleich wieder da, der Stern wird Wunder tun!’ Ha! Wunder! Zwei Jahre! Schäm dich!”

König Melchior aber lächelt still, und wir tun das auch, lesen wir doch bei Johannes von Hildesheim im dreiunddreißigsten Kapitel, dass die Könige aus Ehrfurcht vor Gott zeitlebens Junggesellen geblieben sind.

Und viel später, als sie alt waren und vom Apostel Thomas bereits zu Erzbischöfen geweiht worden waren, haben sie sich vielleicht eines Tages einen Tee gekocht und von den alten Zeiten erzählt, von den Horrormeldungen über die -54 °C und den menschenfressenden Behemoth, und wie unwichtig das doch alles war gegenüber diesem kleinen Kind in der Krippe…


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