Ein freudiges, festliches Ereignis ist’s immer, wenn die Kirche eine kleine Kinderseele durch das Hl. Sakrament der Taufe dem Zugriff des Satans entreißen kann.
Umso freudiger und festlicher ist die Feier aber, wenn der Vater des Täuflings ein weithin berühmter Musiker, ein hochgeschätzter Komponist und Lautenschläger ist, welcher anno 1564, am 19. Februar, heute also vor exakt 450 Jahren, in Pisa gewiss zu einem großen Festschmaus einlud, um mit seinen Freunden und Kollegen die Aufnahme seines neugeborenen Sprösslings in die Heilige Katholische und Apostolische Kirche zu begehen.
Etwas geneckt werden ihn seine Freunde freilich wohl haben ob der durchaus nicht uneitlen Wahl des Taufnamens (das glich er dann aus, indem er Jahre später seinen anderen Sohn nach dem Engelsfürsten nannte – “Michelangelo” – und sieh da: dieser erfüllte die innigsten Wünsche des Vaters und trat in dessen Fußstapfen als Kompo- und Lautenist…) – doch alle Neckerei war harmlos, denn die Zeiten waren noch fern, da man billige Witze über “diesen Galiläer” gerissen hätte, den Wanderrabbi und Latschenträger aus einem abgelegenen Kaff, aus dem nichts Gutes kommen kann – nein, damals war man noch fromm genug, es bei der Neckerei bewenden zu lassen und dem Vater alles Gute, einen frommen und musikalischen Sohn zu wünschen, der den Heiligen Glauben beherzt verteidigen und mehren möge.
So konnte sich am Abend jenes 19. Februar, als die Gläser geleert und die Saiten verklungen waren, der ehrenwerte Signor Vincenzo Galilei – denn so hieß der stolze Vater – ruhig und glücklich zu Bett legen, während der Teufel sich zum ca. hundertmillionsten Mal in den Hintern biss, dass ihm mit dem kleinen Galileo wieder mal eine junge Menschenseele durch die Lappen gegangen war…
Doch Vincenzo hätte sich nicht zu früh freuen sollen.
Sein Sohn zeigte nämlich keinerlei Neigung, Musiker zu werden. Stattdessen ließ er frömmlerische Züge erkennen und wollte unbedingt – Benediktiner werden! Das verbot ihm der Vater schleunigst, schickte ihn stattdessen zum Studium – aber was macht der Filius mit den neuerworbenen Mathematikkenntnissen? Berechnet die Größe der Hölle! Die Accademia Fiorentina war begeistert, und so musste sich Vincenzo wohl oder übel damit abfinden, dass sein Sohn eine unbezähmbare Neigung zu den göttlichen Dingen hatte. Es fiel ihm umso leichter, als der kleine nachgeborene Michelangelo im Lautenspiel ganz außerordentliche Fortschritte erzielte…
Galileo Galilei aber schritt mutig voran, eines der größten Gotteskinder seiner Zeit zu werden.
Zwar war er auch in weltlichen Dingen erfolgreich – unter anderem entwickelte er ein Tomatenpflückgerät und einen Kamm, der gleichzeitig als Besteck verwendbar war – doch seine größten, bleibenden Leistungen lagen zweifellos im Bereich der Theologie.
Durch ihn geschah es, dass die jahrhundertelange Vorherrschaft des heidnischen Aristotel gebrochen und die heilige Lehre des altehrwürdigen Plato wiederentdeckt wurde.
Platonisches Denken hatte das gesamte erste Jahrtausend der Kirche bestimmt. Augustinus, Boethius, Dionysius Areopagita, Johannes Scotus Eriugena waren nur einige der glänzendsten Namen, welche es unternahmen, jene uralte Lehre vom Primat des unaussprechlichen Einen, welches über allem Sichtbaren und Denkbaren wohnt und dessen Ausfluss alles Sichtbare und Denkbare überhaupt erst ist, im Lichte des Evangeliums Jesu Christi zu deuten.
Tausend Jahre wurde diese fromme Philosophie ungebrochen weitergegeben – im Osten wird sie es bis heute –, doch eines Tages geschah das Unfassbare: Französische Modetheologen lasen verrufene Bücher von mohammedanischen Götzendienern wie Ibn Rushd und Ibn Sina und überschwemmten in der Folge das Abendland mit den unheilvollen Lehren eines heidnischen Denkers namens Aristotel. Nur dem unablässigen Gebet und der immensen Glaubenskraft des großen Heiligen Thomas von Aquin ist es zu verdanken, dass diese verderbliche Lehre nicht noch größeren Schaden in christlichen Landen anrichten konnte. Doch der Umbruch war nicht zu leugnen: Der Primat des Einen wich dem Primat des Vielen – Ketzer, Nominalisten und Humanisten krochen aus ihren Löchern, leugneten die Allerheiligste Dreifaltigkeit, verbannten den Papst, huldigten dem Konziliarismus: Sodom und Gomorrha reloaded.
Dann tagte das Konzil von Trient, und siehe: zwei Monate nach seinem Abschluss wurde Gottes Knecht Galileo Galilei geboren – und zwei Jahre nach seinem Abschluss wurde Gottes Knecht Pius V. zum Papst gewählt. Die Heilige Ordnung wurde wiederhergestellt.
Mit aller Kraft kämpfte Galilei gegen den aristotelischen Primat des Vielen. Nicht durch empirische Anschauung (wie Aristotel meinte), sondern durch mathematische Gesetzmäßigkeit (wie Plato lehrte) erfasst man den Kosmos: dafür stritt der tiefgläubige Florentiner. Dabei wandte er raffiniert die empirische Anschauung gegen die Peripatetiker selbst: und siehe, die Holz- und die Bleikugel, die er vom Schiefen Turm zu Pisa warf, gehorchten exakt den gottgegebenen mathematischen Gesetzen und nicht etwa der Lehre des Aristotel, dass sie aufgrund ihrer verschiedenen Qualitäten der Erde unterschiedlich schnell zustreben müssten.
Wo viel Licht ist, ist viel Schatten – und so ließ sich Galilei trotz seines bewundernswerten Eintretens für die heilige alte Philosophie leider auch zu mancherlei Torheiten hinreißen. Eine davon war seine schwärmerische Sympathie für das Polenbuch “Über die Revolutionen der Himmelskreise”. In diesem eitlen Machwerk hatte ein irregeleiteter Domherr die sündige Erde zu einem Stern erhoben, was von der Kirche alsbald als Hybris und dem Menschen nicht zukommend zurückgewiesen wurde. In seinem Eifer für dieses Werk wurde Galilei gar seinen eigenen Prinzipien untreu: die mathematischen Berechnungen des Domherren funktionierten nämlich überhaupt nicht. Die Planeten vollführten am Himmel ganz andere Bahnen, als seine Theorie vorhersagte. Darüberhinaus ließ sich Galilei zu verfehlten und unbrauchbaren Argumenten für das polnische Weltmodell hinreißen: die Entstehung von Ebbe und Flut meinte er dadurch zu erklären, dass die Gewässer bei der Drehung der Erde um ihre eigene Achse “hin- und hergeschleudert” würden. Ein großer Unsinn – wie heute jedes Kind weiß.
Da Galilei entgegen aller Evidenz an seinen überheblichen und blasphemischen Thesen festhielt, sah sich die Kirche schweren Herzens und in unendlicher Traurigkeit gezwungen, ihren großen Sohn, den Wiederentdecker der wahren platonischen Philosophie, unter Hausarrest zu stellen. Dort starb er schließlich im Jahre 1642. Doch in ihrer unbändigen Langmut und Güte trug ihm die Kirche im Angesicht seiner großen Leistungen seine Verfehlungen nicht nach: Bereits im Jahr 1992 wurde er vom Papst rehabilitiert, und man beschloss, ihm eine Statue im Vatikan zu errichten.
Tragisch und verhängnisvoll muss es allerdings genannt werden, wie in den dunklen Jahrhunderten, die auf Galileis gnadenreiches Säkulum folgten, das Andenken dieses treuen Sohns der Kirche von ihren Feinden missbraucht und instrumentalisiert wurde. Lügenmärchen wurden verbreitet, das polnische Weltmodell sei zu Galileis Zeiten plausibler gewesen als das altehrwürdige Modell des Ptolemaios – etsi Bohemicus non daretur, neque Anglicus. Die Kirche hätte gar wie irgendwelche Steinzeitjäger oder Buschpygmäen behauptet, die Erde sei keine Kugel, und sie hätte zudem Galileis überhebliche Theorien als “Demütigungen des Menschengeschlechts” gewertet statt als das, was sie in Wahrheit waren: Selbstüberhebungen desselben. Ein Wiener Jude trieb das später auf die Spitze, indem er sich selbst zur dritten Person einer Allerunheiligsten Dreifaltigkeit der Demütiger erklärte, mit Galilei als der ersten und dem Affenanbeter als der zweiten Hypostase – noch ärger trieb es nur jener nachgeborene Cyberprediger mit der eingewachsenen Narrenkappe, der gar eine Quadrinität postulierte mit sich selbst als der vierten und letzten Metastase, welche den drei klassischen “Kränkungen” die ultimative, weil “digitale Kränkung” hinzufügte: “Die Snowden-Enthüllungen haben die vierte Kränkung der Menschheit offenbart, die digitale Kränkung der Menschheit, der größte Irrtum des Netzzeitalters”…
Doch Galileo Galilei, der fromme Eiferer für den Primat des Einen und Einzigen gegen das eitle Vielerlei der Welt, würde ob derlei Spirenzien in seinem Namen nur verächtlich die Achseln zucken. Er hat es gottlob nicht mehr nötig – denn von seinem lichtdurchfluteten Ehrenplatz im Empyreum wird er wohl nur selten den Blick durch sein Fernrohr auf die armselige, sündige Erde richten, die er einst zum strahlenden Stern erheben wollte. Viel lieber wird er sicherlich – wie schon zu seinen Lebzeiten – sein Teleskop auf die Sonne richten, um den bezaubernden Sonnenfleckenzyklus zu verfolgen – zumal er inzwischen lächelnd erkannte, dass es sich bei den Flecken nicht etwa, wie er damals irrte, um dunkle Wolken handelt, sondern schlicht um verschwindend kühlere Stellen der Sonnenoberfläche: ihre Temperatur beträgt nur ca. 5000 °C – im Gegensatz zu den 6000 °C der Umgebung.
So erkennen wir in der Sonne und im Leben des Galilei dasselbe: Wo viel Licht ist, ist viel Schatten. Wären alle Schatten so lichtdurchflutet wie die Sonnenflecken und die Irrtümer des Florentiner Lautenistensohns, bräuchten wir uns um die Welt keine Sorgen zu machen.